„Ich bin aber überhaupt nicht müde!“
Warum der Abschied vom Tag manchmal so schwerfällt und wie wir den Übergang in den Schlaf liebevoll gestalten können
Es ist ein typischer Abend. Dein Kind hat sich umgezogen und bei der Gute-Nacht-Geschichte nach dem Zähneputzen wären ihm schon beinahe die Augen zugefallen. Doch dann... Kurz nachdem du das Zimmer verlassen hast, springt dein Kind wieder auf und sagt, es sei gar nicht müde. Zehn Minuten später muss es noch mal Pipi, dann hat es plötzlich Durst und als Nächstes muss noch irgendein Kuscheltier gesucht werden. Kommt dir das bekannt vor?
Solche Abende können für dich ganz schön belastend sein. Fällt es dir schwer, in diesen Situationen ruhig und geduldig zu bleiben? Wünschst du dir, dass dein Kind endlich entspannt einschlafen kann?
Oder begleitest du dein Kind Abend für Abend in den Schlaf, bist aber trotzdem beunruhigt, weil du denkst, es müsse „in dem Alter“ doch längst alleine einschlafen können?
Lass uns gemeinsam schauen, wie wir mehr Leichtigkeit in euren Abend bringen können – und zwar so, dass alle Bedürfnisse Berücksichtigung finden, auch deine als Elternteil. Dazu müssen wir zuerst verstehen, was in unseren Kindern vorgeht.
Abschied vom Tag – Übergang in die Nacht
Auch wenn dein Kind wirklich müde ist (das ist die Voraussetzung), kann ihm der Übergang vom Tag in die Nacht schwer fallen. Warum ist das so?
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Die Schwelle in den Schlaf ist ein sehr sensibler Moment, der unbedingt das Gefühl von Sicherheit benötigt, denn im Schlaf sind wir schutzlos. Je jünger dein Kind noch ist, desto mehr ist es dabei auf deine Begleitung angewiesen. Es schafft den sanften Weg in die Entspannung noch nicht gut allein: Deine Nähe ist sein sicherer Hafen. Vielleicht fällt es deinem Kind zusätzlich schwer, die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten.
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Wenn dein Kind älter wird, heißt das aber nicht, dass das „Einschlafenkönnen“ mit der zunehmenden Selbstständigkeit immer Schritt hält. Manchmal tritt genau das Gegenteil ein: Besonders in sensiblen Entwicklungsphasen oder wenn dein Kind neue Situationen meistern muss, braucht es deine Nähe abends umso mehr - als Ausgleich für all den Mut, den es tagsüber aufbringt, um sich von dir zu lösen.
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Hinter den Vorwänden, die dein Kind nutzt, um abends noch mal aus dem Bett zu springen, steht das Bedürfnis nach Verbindung zu dir. Vielleicht hat es ausgeklügelt, welche Strategien funktionieren, damit du noch mal ins Zimmer kommst. Das heißt aber nicht, dass es das macht, um dich zu ärgern oder zu manipulieren – es ist nur gerade nicht in der Lage, sein Bedürfnis klar zu formulieren. Leider reichen der Toilettengang oder die Suche nach dem verlorenen Kuscheltier meistens nicht aus, da sie ja nur ein paar Minuten dauern, und deshalb reiht sich ein Aufstehen an das nächste.
MIRA-Tipp: Versuche zunächst, eure Situation so anzunehmen, wie sie ist und sie nicht zu bewerten. Dein Kind möchte dich nicht ärgern und es ist auch kein Rückschritt, wenn es vorher schon allein einschlafen konnte. Es ist nur jetzt nur anders.
Einschlafbegleitung aus Elternsicht
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Dein eigenes Bedürfnis nach Ruhe. Wahrscheinlich bist du selbst abends müde und erschöpft vom Tag. Du spürst, wie deine Kraftreserven schon während des Fertigmachens im Badezimmer langsam schwinden und wünschst dir deine wohlverdiente Pause – einen ruhigen Abend, noch ein bisschen Zeit für dich allein.
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Druck von außen. Beim Thema Baby- und Kinderschlaf erfahren wir als Eltern von Anfang an viel Druck und Meinungen von außen. Bei Babys wird gefragt „Schläft es denn schon durch?“ und spätestens bei Themen wie Einschlafbegleitung oder Familienbett mit Kindern, die dem Kleinkindalter schon entwachsen sind, ernten wir gerne Unverständnis.
Auch wenn du dir vielleicht vorgenommen hast, die Meinungen anderer nicht zu sehr an dich heran zu lassen, kommen da oft Unsicherheiten hoch, wenn die Sechsjährige noch einfordert, dass du bei ihr bleibst, bis sie schläft. „Ist das denn normal? Wann wird sie es endlich schaffen, alleine einzuschlafen?“
Der Weg ohne Begleitung: „Du bleibst jetzt in deinem Zimmer!“
Kinder sind gut darin, ihre Bedürfnisse zurückzustellen, weil sie uns Eltern gefallen wollen. Daher funktioniert es auch meistens, wenn wir irgendwann aus Erschöpfung oder Ungeduld laut, genervt oder ärgerlich werden. Dein Kind bleibt dann tatsächlich in seinem Zimmer... und schläft alleine ein. Das Problem ist damit aber nur vordergründig gelöst, denn das Bedürfnis deines Kindes nach Sicherheit und Verbindung bleibt unerfüllt. Und es kann sein, dass es sich an anderer Stelle umso heftiger seinen Weg an die Oberfläche sucht. Erfüllte Bedürfnisse verschwinden irgendwann – unerfüllte bleiben.
Wenn ihr stattdessen versucht, euren individuellen Weg zu finden, der alle Bedürfnisse berücksichtigt, werden das Abendritual und die Einschlafbegleitung für alle Seiten entspannter. Wir alle wünschen uns ja einen schönen Tagesabschluss, sowohl für uns, als auch für unsere Kinder.
Um dich auf diesem Weg zu unterstützen, habe ich dir ein paar Impulse zusammengestellt:
Impulse für die Vorbereitung auf das Tagesende
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Schaut gemeinsam voraus. Fällt es deinem Kind schwer, abends zur Ruhe zu kommen, weil es ja noch sooo viel vor hatte und es das alles am Tag gar nicht mehr geschafft hat? Denke am besten früh genug (z.B. am Mittag/Nachmittag) daran, dein Kind zu fragen, was es heute noch unbedingt tun möchte. Plant dann gemeinsam, was möglich ist und was nicht und schau, dass das so gut wie möglich eingehalten wird.
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Probier's mal lustig und wild. Manche Kinder benötigen am Abend ruhige Aktivitäten, anderen tut es gut, sich kurz vor dem Schlafengehen noch mal auspowern zu dürfen. Wenn du dir nicht sicher bist, probiert beides mal aus! Vielleicht hast du befürchtet, eine Kissenschlacht im Schlafanzug würde dein Kind nur noch mehr aufdrehen, möglicherweise kann es sich aber sogar besser entspannen, wenn ihr noch mal gemeinsam wild und ausgelassen gelacht habt. Lachen stärkt nämlich eure Verbindung und kann ein super Weg sein, um Stress und Anspannung abzubauen – genau das, was wir vor dem Schlafengehen gebrauchen können.
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Sprecht über den Tag. „Was fandest du heute besonders schön? Was war nicht so schön?“ Wenn du deinem Kind vor dem Einschlafen noch mal Gelegenheit gibst, über den Tag zu sprechen, könnt ihr eventuell belastende Situationen gemeinsam auflösen. Vielleicht zaubert dir gerade die Antwort deines Kindes auf die Frage, was besonders schön war, ein Lächeln auf die Lippen. Oft sind es nämlich Dinge, die wir Erwachsenen als gar nicht so bedeutend wahrgenommen haben. So könnt ihr den Tag gemeinsam auf eine positive Weise verabschieden.
Impulse für die Einschlafbegleitung
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Frag dein Kind. Meistens ist es nicht das dritte Glas Wasser oder die Kuscheltiersuche, die dein Kind braucht, wenn es immer wieder aufsteht. Gib deinem Kind die Möglichkeit, in sich hinein zu spüren und zu sagen, was es wirklich braucht. Ein ausgesprochenes „Ich möchte, dass du bei mir bleibst!“ kann sich für dein Kind schon richtig erleichternd und entspannend anfühlen.
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Nutze stärkende Sätze oder Affirmationen. Vor dem Einschlafen noch mal zu hören „Du bist gut, so wie du bist“ stärkt eure Verbindung und gibt deinem Kind ein sicheres Gefühl, das den Übergang in den Schlaf leichter macht.
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Gestalte die Einschlafbegleitung angenehm für dich. Wenn du merkst, dass du während der Einschlafbegleitung schnell ungeduldig wirst, überlege dir, wie du die Situation für dich angenehmer gestalten kannst, zum Beispiel indem du auf Kopfhörern Hörbücher oder Podcasts hörst, während du neben deinem Kind liegst oder bei ihm im Zimmer sitzt.
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Behalte den Blick für dich. Übe dich darin, im Laufe des Tages deine eigenen Bedürfnisse nicht immer und immer wieder hinten anzustellen und dir kleine Inseln einzubauen, die dir gut tun. Dann bist du am Abend weniger ausgelaugt und hast mehr Kraft für Abendritual und Einschlafbegleitung übrig. Auch für dein Kind ist es tagsüber, wenn es noch nicht müde ist, leichter zu verstehen, dass auch Ma*Pa mal eine Pause braucht.
Das Wichtigste noch mal in Kürze:
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Es gibt viele Gründe, die es deinem Kind schwer machen, den Tag loszulassen und den Übergang in den Schlaf zu finden. Es handelt dabei aber niemals gegen dich, sondern es steht immer ein Bedürfnis dahinter.
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Versuche zu ergründen, was deinem Kind helfen kann, und probiere gerne neue Elemente in eurem Abendritual aus.
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Begleite dein Kind, wenn es dich braucht, aber verliere auch deine Bedürfnisse nicht aus den Augen – und zwar nicht erst abends, sondern in eurem Miteinander den ganzen Tag über.
Und ganz wichtig: Niemand kennt dein Kind so gut wie du! Und auch wenn es uns manchmal endlos lang erscheint, wenn wir gerade mitten drin stecken – am Ende ist es total egal, ob dein Kind mit vier oder acht Jahren alleine einschlafen konnte... In diesen sensiblen Jahren ist es aber nicht egal, ob du an der Seite deines Kindes warst und ihm Sicherheit und Geborgenheit geschenkt hast, oder nicht. Versuche daher, dich von den Bewertungen anderer zu lösen. Vertraue auf euren Weg!
Deine MIRA